Kritik an der gewaltfreien Kommunikation: 10 Aspekte, die oft falsch verstanden werden

Über die gewaltfreie Kommunikation gibt es ja so einiges zu sagen. Oft wird sie falsch verstanden und dadurch auch abgelehnt. Das empfinde ich als sehr schade, da sie sehr wertvoll ist und du durch ihre Anwendung dein Leben verbessern kannst. Gehen wir also der Kritik mal auf den Grund!

Irrtümer über die GFK und warum ich vieles anders sehe

Die einzelnen Aspekte der gewaltfreien Kommunikation führen dazu, dass manch einer sie kritisiert. Das ist auch legitim und regt Diskussion an, die ich auch sehr zu schätzen weiß.

In den folgenden Punkten gehe ich also sowohl auf das Konzept an sich und auf meine Erfahrungen und meinen Umgang mit der GFK ein.

Kritik gewaltfreie Kommunikation: 1. Du musst immer in vier Schritten sprechen

Schauen wir uns dazu mal erstmal an, was die gewaltfreie Kommunikation ist. Oft wird sie verkannt als reine Kommunikationsmethode, bei der du mit vier Schritten Gespräche strukturierst, um Konflikte anzusprechen und aufzulösen.

Dabei sind diese vier Schritte lediglich als Anregung gedacht und hauptsächlich für die Reflexion. So kannst du die vier Schritte nutzen, um dich selbst besser zu verstehen und du kannst dich damit auch in den anderen versetzen.

Die vier Schritte der GFK sind:

  1. Beobachtung
  2. Gefühl
  3. Bedürfnis
  4. Bitte

Doch die GFK ist noch so viel mehr! Sie wirkt auch in Gesprächen nicht mit den vier Schritten, wenn du die entsprechende wertschätzende Haltung nicht mitbringst. Denn die Schritte Beobachtung, Gefühl, Bedürfnis und Bitte sind aus der gewaltfreien Einstellung entstanden.

Verschiedene Grundannahmen führen dazu, dass wir uns mit anderen über ihre Sichtweise austauschen, da wir wissen, dass Menschen nicht alle gleich ticken.

Bist du gewaltfrei unterwegs, weißt du, dass du selbst für deine Gefühle verantwortlich bist. Du hast verstanden, dass Menschen alles, was sie tun, machen, um ihre Bedürfnisse zu befriedigen. Bitten statt zu fordern erhöht die Wahrscheinlichkeit der Hilfe durch den anderen.

Du kannst also die vier Schritte in Gesprächen anwenden, musst es aber nicht. Mehr Sinn macht es, wenn du die Sinnhaftigkeit der Komponenten verstanden hast und dadurch Gespräche anders führst.

Ich verwende selten alle vier Schritte in Konfliktgesprächen. Doch ich behalte im Hinterkopf, dass jeder Mensch Gefühle und Bedürfnisse hat, die zu Taten führen.

Dadurch stelle ich öfter Fragen, um den anderen besser zu verstehen. Ich unterstelle weniger.

Also: die vier Schritte sind eine Struktur als Anregung und kein Muss! Reiner Fokus auf die „Regeln“ macht deinen Austausch noch lange nicht gewaltfrei. Deswegen macht für mich dieser Kritikpunkt an der gewaltfreien Kommunikation wenig Sinn.

Kritik gewaltfreie Kommunikation: 2. Du darfst nicht mehr bewerten

Auch das habe ich schon oft gehört: „Die gewaltfreie Kommunikation ist gar nicht anwendbar, da man als Mensch ja immer bewertet.“

Wie kommt man darauf? Weil es im ersten Schritt um die Beobachtung geht, die keine Bewertung enthalten soll.

Im ersten Schritt der Beobachtung geht es darum, dass du, so wertfrei und so konkret wie möglich, eine Situation beschreibst. Dabei fokussierst du dich auf das Wahrnehmbare.

Die Gedanken, die die Situation bei dir auslöst, nimmst du wahr und filterst die Bewertungen raus. Viele denken, dass sie nun also bei der Anwendung der GFK nicht mehr bewerten dürfen.

Immer und überall ist das recht schwierig. Natürlich wirst du darin immer besser, wenn du das regelmäßig übst. Doch Bewertungen sind recht menschlich und haben auch das Ziel, einzuschätzen, ob eine Situation für uns gefährlich ist oder eben nicht.

Viel mehr geht es in der GFK darum, sich seine Bewertungen bewusst zu machen und sie auch als ein Geschenk zu sehen. Sie geben dir nämlich Hinweise auf das, was dich stört und was du gern anders hättest. Sprichst du das regelmäßig an, hast du die Chance, dass sich etwas verändert und du zufriedener bist.

Wäre der Anspruch wirklich, nie wieder zu bewerten, würde ich dies auch kritisieren…

Kritik gewaltfreie Kommunikation: 3. Du musst immer über Gefühle reden

„Gefühle haben am Arbeitsplatz nichts zu suchen!“

Das höre ich in meinen Trainings immer mal wieder. Spannend, denn wir haben ja alle nun mal immer wieder den ganzen Tag Gefühle. Nicht darüber zu sprechen, ändert nichts daran.

Die GFK hat einen Fokus auf Gefühle. Marshall B. Rosenberg, der sie entwickelt hat, hat sich dazu sehr viele Gedanken gemacht. Über Gefühle zu sprechen, zeigt unsere Menschlichkeit und unsere Verletzlichkeit. Das kann Verständnis fördern und dazu beitragen, dass wir den anderen im Konfliktfall besser verstehen und schneller zu einer gemeinsamen Lösung kommen. Das Zauberwort heißt hier Empathie 😉.

Doch auch hier: du musst nicht über deine Gefühle sprechen. Du musst den anderen nicht nach seinen Gefühlen fragen. Das machst du nur, wenn sich das für dich richtig anfühlt. Auch kann es sein, dass du bei deiner Selbstreflexion herausbekommst, dass du frustriert, einsam und hilflos bist. Nun kannst du ja entscheiden, was du davon konkret dem anderen mitgeben möchtest und was nicht.

Du kannst also jederzeit entscheiden, ob du über deine Gefühle sprichst oder nicht. Und, was du genau sagst. Schließlich gibst du weniger von dir preis, wenn du sagst, dass du frustriert oder irritiert bist, als wenn du von Einsamkeit sprichst.

Für mich ist es viel wichtiger, immer wieder im Hinterkopf zu haben, dass Menschen sehr unterschiedlich ticken. Manch einer ist vertrauensvoller als andere. Manch einer hat viele schlechte Erfahrungen gemacht, wenn er sich empfindlich gezeigt hat. Das kann dazu führen, dass diese Menschen sich nicht mehr öffnen oder eben nur bestimmten Personen gegenüber.

Auch hier ist mein Fazit: die Kritik an der gewaltfreien Kommunikation hat hier keinen Sinn. Nirgends wird geschrieben, dass wir immer über unsere Gefühle reden sollen.

Kritik gewaltfreie Kommunikation: 4. Nicht alle können es anwenden

Auch habe ich schon gehört, dass die GFK zu emotional ist. Das ist eine Ergänzung zu dem Punkt, den ich gerade schon hatte.

Ein Irrtum ist, dass die GFK nur für Menschen geeignet ist, die sich auf einer emotionalen Ebene engagieren können. Manche denken, dass die GFK nur für Personen gedacht ist, die sehr emotional und empathisch sind und dass sie nicht für diejenigen geeignet ist, die eher rational und abstrakt denken.

Das mag so wirken, wenn man denkt, dass man immer über Gefühle reden muss (siehe oben). Doch ich habe die Erfahrung gemacht, dass auch Menschen, die weniger empathisch sind, gerade deswegen zur gewaltfreien Kommunikation kommen, um darin besser zu werden.

Anfangs fällt ihnen das noch etwas schwer, doch mit dem regelmäßigen Üben wird es besser und besser.

Ich habe von der Ehefrau eines weniger empathischen Kunden mal eine Mail bekommen, in der sie sich bedankt hat bei mir, da sich auch sein Verhalten im Privatleben verändert hatte und er verständnisvoller wurde. Da habe ich mich sehr drüber gefreut!

Aber klar, es kann sein, dass es auch Personen gibt, die sich deswegen davon abschrecken lassen. Das kann durchaus sein.

Kritik gewaltfreie Kommunikation: 5. Durch den Fokus auf deine Bedürfnisse wirst du egoistisch

Diese Kritik an der gewaltfreien Kommunikation habe ich auch schon gehört, zumindest wurde sie als Angst von Teilnehmern geäußert.

Die GFK könnte man auch als bedürfnis-orientierte Kommunikation bezeichnen. Verstehe, wann du dich gut und wann schlecht fühlst, weil deine Bedürfnisse erfüllt sind oder eben nicht.

Unsere Bedürfnisse lenken unser Handeln und stehen im engen Zusammenhang mit unseren Gefühlen. Denn unerfüllte Bedürfnisse führen zu unangenehmen Gefühlen. Erfüllte Bedürfnisse hingegen erzeugen angenehme Gefühle.

So weit, so gut.

Das verstehen manche auch falsch. Denn das heißt nicht, du sollest jetzt immer all deine Bedürfnisse erfüllen ohne Rücksicht auf andere. Schließlich leben wir nicht auf einer einsamen Insel.

Außerdem ist es recht normal, dass zur gleichen Zeit Bedürfnisse erfüllt sind und andere nicht. Eine 100 % Erfüllung aller Bedürfnisse zur gleichen Zeit ist also sehr schwierig. Ich behaupte sogar, dass das gar nicht möglich ist.

Die Kunst ist also zu schauen, was du brauchst und was deine Mitmenschen. Also zum Beispiel deine Kollegen, dein Team oder deine Kunden.

Würdest du nur noch auf dich selbst schauen und gar keine Rücksicht nehmen, würdest du tatsächlich zu egoistisch werden. Doch die GFK möchte, dass das im Einklang steht so oft es geht: deine Bedürfnisse und die der anderen.

Zusätzlich geht es darum, dass wir bei unserer Bedürfniserfüllung darauf achten, dass wir damit keinem schaden. Auch musst du nicht jeden fragen, was jetzt sein Bedürfnis ist. Schließlich kann nicht jeder etwas mit diesem Begriff anfangen 😉.

Kritik gewaltfreie Kommunikation: 6. Du musst immer Bitten formulieren und darfst nie wieder fordern

In meinen Seminaren sitzen auch immer wieder Führungskräfte, die zu mir sagen, dass sie doch fordern können, da sie nun einmal die Führungsposition haben. Da der letzte der vier Schritte der GFK die Bitte ist, denken sie, sie dürfen nie wieder fordern.

Doch, du darfst alles. Du kannst bewerten, Vorwürfe machen, nicht empathisch sein. Das ist ja alles erlaubt. Du erzielst damit halt eine andere Wirkung bei deinem Gegenüber.

Die Frage ist also eher, was du erreichen möchtest. Willst du, dass deine Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen motiviert sind und bleiben, macht es Sinn, Bitten zu formulieren. Sie wirken anders, da sie auf Freiwilligkeit beruhen.

Und natürlich gibt es hier auch Ausnahmen. Denn immer dann, wenn es keine Optionen gibt, macht es keinen Sinn, so zu tun, als gäbe es welche. Das demotiviert eher, denn das wirkt unehrlich! Gibt es also keine Optionen und kann der andere nicht nein sagen, ist eine Bitte sinnlos. Es ist dann eine Forderung. Natürlich kannst du die auch höflich rüberbringen. Trotzdem ist sie dann eine Forderung und keine Bitte.

Manche Situationen erfordern auch Forderungen. Zum Beispiel immer dann, wenn du jemanden schützen willst. Natürlich kannst du auch dann bitten, doch eigentlich ist es dann eine Forderung.

Beispiel gefällig?

Du hast in deinem Team eine Person, die andere mobbt. Klar, suche bitte das Gespräch und finde heraus, warum sie das macht. Zusätzlich geht es dabei darum, der Person klarzumachen, dass das gar nicht geht. Du stellst hier also keine Bitte, das Verhalten zu ändern. Das ist ganz klar eine Forderung, die auch entsprechende Konsequenzen hat, wenn sie nicht umgesetzt wird.

Kritik gewaltfreie Kommunikation: 7. Du musst immer gewaltfrei sein

Eins der Irrtümer über die gewaltfreie Kommunikation ist, dass man immer gewaltfrei sein muss. Das heißt also, du müsstest immer und in jeder Situation beschreiben, statt bewerten, über Gefühle reden, deine Bedürfnisse offenbaren und bitten formulieren. Du wärst immer auf Augenhöhe, fragst immer nach der Sichtweise des anderen und versetzt dich in den anderen.

Doch das ist unrealistisch und gar nicht das Ziel. Im Idealfall schaffst du das so oft wie möglich. Gelingt dir das nicht, bleibst du bitte liebevoll mit dir und machst dir keine Vorwürfe.

Manche Themen sind so krass, dass es dir schwerfällt, dich in den anderen zu versetzen oder du willst das auch gar nicht.

Manchmal bist du so emotional, dass es dir schwerfällt, dich zu zügeln. Dann „rastest“ du vielleicht aus und wirst laut, vergreifst dich im Ton oder ähnliches. Das passiert mir selten, doch auch immer mal wieder. Allerdings eher im privaten Bereich. Ich kann mich aber auch an Fälle erinnern, bei denen ich online negative Bewertungen bekam, die ich gar nicht nachvollziehen konnte und bei denen ich echt geschockt war. Meine ersten Ideen in meinem Kopf waren auch nicht sehr gewaltfrei 😉.

Kritik gewaltfreie Kommunikation: 8. GFK ist zu idealistisch

Ein weiteres verbreitetes Vorurteil über die GFK ist, dass sie zu idealistisch und nur schwer im Leben anwendbar sei. Manche Menschen glauben sogar, dass die Anwendung der GFK naiv ist.

Doch hierbei darf man nicht vergessen, dass es ja um eine Haltung geht, die wir in bestimmten Situationen haben und in anderen vielleicht nicht. Nicht immer ist es möglich, gewaltfrei zu sein und offen für den Austausch mit der Person, die aus unserer Sicht etwas Schlimmes getan hat.

Die Einstellung, dass der andere nichts tut, um uns zu schaden, sondern sich selbst etwas Gutes tun will, hat auch eine Schutzfunktion, die ich weder als idealistisch noch als naiv betrachte. Letztlich sind wir uns bei der Anwendung der GFK bewusst, was wir denken, da wir das ja regelmäßig reflektieren, wenn wir die gewaltfreie Kommunikation anwenden.

Kritik gewaltfreie Kommunikation: 9. Du musst spirituell sein

Eine weitere Kritik an der GFK ist, dass sie nur funktioniert, wenn du spirituell bist. Glaub mir, ich bin es nicht und nutze die gewaltfreie Kommunikation schon sehr lange. Auch meine Kunden wenden sie mit ihrem Personal an und sind auch nicht alle spirituell.

Die GFK hat schon eine besondere Haltung, die ist jedoch eher geprägt von einem bedürfnis-orientierten Menschenbild, das uns ermöglicht, auch mit denen Gespräche zu führen und nach Lösungen zu schauen, die sich nicht so verhalten, wie wir es uns im Idealfall vorstellen.

Kritik gewaltfreie Kommunikation: 10. GFK ist zu zeitaufwendig

Ein weiterer Kritikpunkt an der gewaltfreien Kommunikation ist auch, dass sie zu zeitaufwendig sei und dass es zu lange dauert, sie zu erlernen und anzuwenden.

Hier ist immer die Frage, wie hoch die eigenen Ansprüche sind. Ich behaupte, keiner wendet immer alle vier Schritte an und ist immer gewaltfrei in Gesprächen. Doch du kannst schnell einzelne Aspekte in deinen Alltag integrieren. Zum Beispiel, nicht mehr gleich zu reagieren und dir Zeit für eine Antwort zu nehmen. So hast du Zeit zum Reflektieren und bereust seltener, was du sagst 😉.

Doch ja: sich mit dem gesamten Konzept auseinanderzusetzen und es zu verinnerlichen, kostet Zeit!

Fazit zur Kritik an der gewaltfreien Kommunikation

Du siehst, die GFK wird in Bezug auf viele Aspekte kritisiert. Ich bin immer noch der Meinung, wenn man ihr eine zweite Chance gibt und sie mit ihren vier Schritten als Anregung versteht, ist sie ein wahrer Schatz.

Ich möchte sie auf jeden Fall in meinem Leben nicht mehr missen. Fühle dich nicht eingeengt von der Struktur der gewaltfreien Kommunikation, sondern nimm dir das mit, das für dich am meisten Sinn macht oder für dich am ehesten anzuwenden ist. Willst du deine Kommunikation verändern, starte nicht damit, alles ändern zu wollen, sondern mit einem ersten kleinen Schritt.

Alles Liebe

deine Susanne

P.S.: Du möchtest gern mehr zur GFK? Dann geht es hier zum job-begleitenden Programm, zu den internen Seminaren und zum Business Coaching. 

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Marshall Rosenberg

Buch Superkräfte für Führungskräfte – Gewaltfreie Kommunikation im Beruf

Hier kannst du dir den Blogartikel auch anhören

Susanne Lorenz
Susanne Lorenz

Ich habe mich als Kommunikationstrainerin, Buchautorin und Business Coach auf Führungskräfte spezialisiert, nachdem ich im Anschluss an mein Germanistikstudium selbst mehrere Jahre als Managerin Erfahrungen gesammelt habe. Gewaltfreie Kommunikation ist meine Leidenschaft. Meine Vision ist, dass Menschen am Arbeitsplatz mehr miteinander statt übereinander reden und konstruktiv ansprechen, was sie stört.

Mit meinen Coachings und Trainings erhöhe ich die Transparenz und Wertschätzung in Unternehmen. Mein Blog www.wirksam-kommunizieren.de dreht sich um erfolgreiche Kommunikation im Berufsalltag.

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